Nürnberger setzt auf Pflanzen – Die Wunder-Rinde des Apothekers
Popstars und Fußballspieler sind tägliche Fanpost per Brief, Fax und Internet gewöhnt – und haben zur Beareitung in der Regel eigene Manager oder Sekretäre. Aber Apotheker? Und noch dazu in Nürnberg? Die NZ hat einen gefunden, der zwar nicht ständig rote Rosen oder Teddybären von hübschen jungen Mädchen zugeschickt bekommt. Aber mal eine Kiste guten Weins als Dankeschön oder eine selbst angefertigte Holzschnitzerei sind schon drin. Vor allem aber erhält er stapelweise Briefe, Postkarten, Weihnachtsgrüße und Faxe.
Die Rede ist von Wolfram Wiemann, der im beschaulichen Stadtteil Herpersdorf bis vor fünf Jahren die Beethoven-Apotheke betrieb und sich nun im Ruhestand voll und ganz seiner kleinen Pharmaziefirma Beethoven-Pharma widmen kann. Stolz zieht der 67-Jährige an diesem Vormittag das neueste Fax aus dem Gerät. „Jahrzehntelang habe ich mich mit Nierensteinen und Gries herumplagen müssen“, schreibt der wohl schon etwas ältere Kunde. „Seit ich Ihr Nierentonikum nehme, sind diese Leiden beendet“, heißt es weiter. Er bedankt sich dafür, dass er „einfach wieder Lebensqualität“ erleben dürfe. Dass sein Arzt ihm niemals ein pflanzliches Mittel empfohlen habe, erwähnt er auch noch – und schiebt die rhetorische Frage nach: „Warum wohl?“
Doch was ist drin in den pflanzlichen Tropfen gegen Nierenleiden, die Wiemann nach eigenen Angaben in den 70er Jahren als erster in Europa auf den Markt gebracht hat? Es handelt sich um die Heilpflanze Phyllanthus niruri, von deren Wirksamkeit dem promovierten Pharmazeuten bei seinen zahlreichen Expeditions-Reisen durch das Amazonasgebiet immer wieder berichtet wurde. Dabei handelt es sich um ein 50 bis 80 Zentimeter hohes Kraut, „von dem man die Blätter ebenso wie die Stängel und sogar die Wurzeln verwenden kann“, wie Wiemann sagt.
Das Nierentonikum ist nur eines von mehreren pflanzlichen Arzneimitteln, die der in Köln aufgewachsene Wissenschaftler seit fast 40 Jahren im Apothekenlabor produziert. Dabei handelt es sich aber um kein Hexenwerk, das quasi über Nacht entsteht, versichert Wiemann der zwar seit 56 Jahren in Nürnberg lebt, sich den Kölschen Akzent aber bewahrt hat. Vielmehr müssen die aus südamerikanischen Baumrinden oder Pflanzen gewonnenen Extrakte fest verschlossen rund sechs Wochen lang in Alkohol ausharren. In große Extraktionsbehälter aus Edelstahl werden die Zutaten gefüllt und entfalten dort erst nach und nach ihre volle Wirkung, bevor sie in die braunen Arzneimittelflaschen abgefüllt werden können.
Das am meisten nachgefragte Mittel – und das, wofür der rüstige Rentner die meisten Dankesschreiben und –anrufe erhält – ist nicht das Nierentonikum, sondern ein Rheumatonikum, das es in mehreren Varianten gibt. Dafür benutzt Wiemann auch seinen persönlichen Lieblingsbaum, der in Peru ebenso wächst wie in Brasilien und Ecuador, jedes Mal direkt am Amazonas. Es ist der Tropenbaum Heisteria, aus dessen zerkleinerten und gehäckselten Rinden der Apotheker die pflanzlichen Tropfen herstellt. Noch vor 15 Jahren fuhr er selbst regelmäßig auf einem „Peqe Peqe“, dem traditionellen Einbaum-Boot, und sammelte Rindenstücke für den Eigenimport, ohne dafür jemals einen Baum zerstört zu haben. Heute importiert er die Rohstoffe aus Peru, Brasilien und Ecuador. Eine Ausbeutung des Urwalds würde ihm dabei nie in den Sinn kommen – es tue ihm vielmehr „in der Seele weh, wenn ich höre, wie der Regenwald immer mehr zerstört wird, weil Menschen dies aus reinen Profitinteressen tun“.
- Nordbayerische Zeitung, 11.05.2011